Lore hatte sicher viele Talente, doch von klein auf liebte sie es, zu singen. Darin erfuhr sie stete Ermunterung durch ihre Mutter, die es froh stimmte, das Kind so glücklich zu sehen. Unermüdlich lobte sie Stimme und Sangeskunst ihrer Tochter und hielt jeden aus Familie und Bekanntschaft, der dem Vortrag Lores lauschen durfte, an, die Sängerin ausgiebig zu preisen.
So steigerte sie den Ehrgeiz der Tochter noch, die den Stolz der Mutter spürte und dem Streben nach den Bühnen dieser Welt noch die Hoffnung hinzufügte, mit Erfolg das Lob zu rechtfertigen und für die Unterstützung zu danken.
Schließlich wollte sie die Mutter überraschen und meldete sich – süße fünfzehn Jahre alt – bei einem jener Talentwettbewerbe an, die die ganze Nation über die Fernsehbildschirme verfolgte. Zu spät bemerkte die Mutter, was Lore vorhatte, und begann sogleich, sich Vorwürfe zu machen.
Die der Tochter ließen nicht lange auf sich warten. Verhöhnt von Jury und Publikum hatte sie erfahren müssen, dass die Mutter ihr all die Jahre den reinen Wein verwehrt hatte.
Viel Zeit verging, bis Lore ihrer Mutter verzieh, die fortan versprach, bei der Wahrheit zu bleiben, was Lore schließlich ermunterte, ihre wahren Talente zu entdecken. Auch die Freude am Gesang fand sie wieder, abseits der Bühnen dieser Welt.
Nach Eleonore Wittke: Kurzprosa schreiben, Sieben Verlag